Vermittlung Magazin

Meine Begegnungen mit Friedrich Cerha

STATMENT
Walter Kobéra

Einer der führenden Dirigenten zeitgenössischen Musiktheaters. Künstlerischer Leiter und Intendant der Neuen Oper Wien.

www.neueoperwien.at

Als ich dem Regisseur Olivier Tambosi für unsere gemeinsame Produktion im Herbst 1994 Alban Bergs Lulu vorschlug, war für uns beide bald klar, dass wir die 3-aktige Version mit der Vollendung durch Friedrich Cerha wählen werden. Es war geradezu ein absolutes Muss. Der damalige große Erfolg dieser Produktion gab uns Recht. Nicht nur die Tatsache, dass erst durch die Fertigstellung des 3. Aktes der dramaturgische Bogen seinen Abschluss finden konnte, faszinierte mich die enorme Empathie Friedrich Cerhas, in die Klangwelt von Alban Berg einzutauchen. Diese hohe Kunst der Instrumentation sollte ich spätestens bei der Beschäftigung mit Baal wieder erleben dürfen. Bis dahin sollten allerdings einige Jahre vergehen. Dennoch beschäftigte mich vor allem der Opernkomponist Friedrich Cerha immer wieder. War es “Der Rattenfänger”,  auf den mich Prof. Dr. Hans Landesmann aufmerksam gemacht hatte, oder aber auch “Der Riese vom Steinfeld” mit der großartigen Diana Damrau.

Nun das Jahr 2011 – Friedrich Cerhas 85.Geburtstag. In vielen Konzertprogrammen findet man seinen Namen, doch kein Opernhaus schien sich für Cerhas Oeuvre auf dem Gebiet des Musiktheaters zu interessieren – auch für Baal nicht. Lag es womöglich an der untypischen Textbehandlung, die für Brecht-Kenner irritierend ist? Nach genauem Studium der Partitur war mir klar: vor mir lag ein komplett eigenständiges Libretto, fast möchte ich sagen ziemlich weit weg von Bertold Brecht, und außerdem ein ganz großartiges Werk österreichischer Musik. Cerha zeichnet die Figur Baal als unangepasste, unanpassungsfähige Künstlerpersönlichkeit, stets suchend aber nie findend. Diese Charakteristik spiegelt sich ganz stark in der Wahl der musikalischen Ausdrucksformen wider. Avantgardistische Elemente sind ebenso wie traditionelle Formen vertreten, aber es finden sich auch Jazz- und Improvisationselemente in der Partitur. Dabei negiert Friedrich Cerha nie eine sinnliche, höchst emotionelle Zeichnung seiner Figuren.

Ganz besonderes in den Bann zog mich die anspruchsvolle Aufgabenstellung für das Orchester. Ganz im Berg’schen Sinn hat Friedrich Cerha den Musikern dieses großen Orchesters viele kammermusikalische Aufgaben zugeteilt.

Die Anforderungen dieser Partitur erforderten eine ganz spezielle Lösung, sowohl im Bühnen- als auch im Regiebereich. Der Aufführungsort der ehemaligen Ankerbrotfabrik, mit seiner klaren und einfachen Architektur, waren für mich und das Regieteam der ideale Ort. Auch war es erst dort möglich, das große Orchester akustisch geeignet zu platzieren. Bühne und Musiker verschmolzen, nur durch einen imaginären Steg verbunden, zu einer Einheit, der sich das Publikum – rechts und links davon – nicht entziehen konnte.

Die Idee ging auf und die Produktion war nicht nur ein Erfolg für die Neue Oper Wien, sondern vor allem für die großartige Musik von Friedrich Cerha.